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Titel
Rastlos. Das erstaunliche Leben des Archäologen und Erfinders Jakob Wiedmer-Stern (1876 – 1928


Autor(en)
Müller, Felix
Erschienen
Zürich 2020: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
von
Philipp Stämpfli

Kaufmann, Archäologe, Hotelier, Museumsdirektor, Schriftsteller, Erfinder, Journalist, Historiker, Chemiker, Ingenieur, Geologe, Zeichner, Entdecker, Restaurator, Karikaturist, Diplomat und Philhellene. Dies alles war Jakob Wiedmer-Stern gemäss seinem Biografen Felix Müller – ein volles Programm, wenn man bedenkt, dass dafür nur ein Leben zur Verfügung stand. Jakob Wiedmer kam 1876 als Kind des Zuckerbäckers Jakob Wiedmer senior in Bern zur Welt. Bald darauf zog die Familie nach Herzogenbuchsee, wo Jakob Wiedmer die Schule besuchte. Den Besuch des Gymnasiums verhinderte der Vater, der von Studierten nicht viel hielt. So absolvierte der Junior eine kaufmännische Lehre. 1897 zog er nach Zürich, blieb dort aber nicht lange. Schon 1898 konnte er im Auftrag eines unbekannten Arbeitgebers als Kaufmann nach Athen übersiedeln, wo er bis 1901 lebte.

Schon als Jugendlicher begeisterte sich Jakob Wiedmer für die Archäologie; als 17-Jähriger konnte er erstmals an einer Ausgrabung teilnehmen. 1897 führte er in Niederönz seine erste Ausgrabung in eigener Regie durch. Auf der Reise nach Athen hatte er die Gelegenheit, Kontakte zu führenden griechischen Archäologen zu knüpfen, die er nach seiner Ankunft weiter pflegte. Er befasste sich intensiv mit der griechischen Geschichte und sammelte archäologische Fundstücke, von denen er eine grosse Zahl dem Historischen Museum in Bern zukommen liess. Nach seiner Rückkehr aus Athen liess sich Jakob Wiedmer im Oberaargau nieder, wo er sich ab 1902 neuen Ausgrabungen widmete. Gleichzeitig verfasste er zwei Romane, von denen namentlich die Flut in der Öffentlichkeit gut aufgenommen wurde. 1904 heiratete er Marie Stern, die in Wengen das Hotel «Stern» besass. Für kurze Zeit betätigte sich das Ehepaar Wiedmer-Stern als Hoteliers; schon 1905 verkauften sie jedoch das Gasthaus. Jakob Wiedmer-Stern war als Konservator und Vizedirektor ans Historische Museum gewählt worden, dessen Direktor er 1907 wurde. 1906 leitete er die bahnbrechenden Ausgrabungen in Münsingen-Rain, die ihn international bekannt machten. Wiedmer-Stern war der Erste, der bei der Interpretation von Ausgrabungen die Horizontalstratigrafie anwandte. Dies war eine seiner bedeutendsten Leistungen. Daneben war er an diversen weiteren Ausgrabungen beteiligt, bis er 1910 seinen Posten im Museum räumen musste. Zudem war er weiterhin publizistisch tätig, und er fand auch noch die Zeit, bei der Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte mitzuwirken. Seine Stelle im Museum verlor er, weil er neben seiner Tätigkeit als Direktor private Finanzgeschäfte betrieb – er beteiligte sich an der Finanzierung der Strassenbahn in Konstantinopel –, für die er für längere Zeit in die Türkei reiste. Als er wegen einer zweiten Türkeireise abermals seine Pflichten als Direktor vernachlässigte, war das Mass voll. Weitere Investitionen beschäftigten ihn nach seinem Abgang aus dem Museum, so Beteiligungen an einer Silber- und Bleimine in den Vogesen, am Asphaltabbau in Sizilien und an Silberminen in Nevada. Der Erste Weltkrieg liess die Investitionen zum Fiasko werden; Wiedmer-Stern war gezwungen, sich nach einer neuen Einkommensquelle umzusehen. Obwohl er viele Erfindungen beim Patentamt anmeldete, blieb deren wirtschaftlicher Erfolg aus. Deshalb wurde Wiedmer-Stern wieder journalistisch tätig. Trotzdem liess sich der Konkurs 1922 nicht mehr abwenden. In den letzten Jahren brachte er sich mit dem Schreiben von Artikeln und Kurzgeschichten durch; seinen letzten Roman konnte er noch fertigstellen, publiziert wurde er aber erst 1940, zwölf Jahre nach seinem Tod.

Die Biografie von Jakob Wiedmer-Stern ist nicht nur wegen ihres Protagonisten ein eindrückliches Werk, sondern auch wegen der Arbeitsweise ihres Autors. Obwohl die Handlung spannend wie ein Roman ist, sind die Details minutiös recherchiert; jede Angabe ist mit Quellen belegt, und wenn doch einmal eine Lücke gefüllt werden musste, ist sie klar als Vermutung deklariert. Der Autor hat die Aufenthaltsorte Wiedmer-Sterns selbst besucht und teilweise auch Fotos davon publiziert, was die Arbeit noch lebendiger macht. Grossen Wert legt der Autor auf das Umfeld Wiedmer-Sterns. So werden immer wieder Personen und Werke vorgestellt, mit denen dieser zu tun hatte. So schildert Felix Müller die Verhältnisse und die berühmten Gäste im Haus des Doktors Krebs in Herzogenbuchsee, mit dessen Kindern Jakob Wiedmer in seiner Jugend spielte. Die Hochzeitsreise nach Bad Boll gibt ihm Anlass, über das pietistische Milieu von Wiedmer-Sterns Frau Marie zu schreiben, deren Eltern dort lebten. Immer wieder bespricht er Schriften von Zeitgenossen, die Wiedmer-Stern beeinflusst hatten, oder er schildert ausführlich den Inhalt von Arbeiten Wiedmer-Sterns selbst. So kombiniert er gekonnt die Aktivitäten Wiedmer-Sterns mit dessen geistigem Hintergrund. Genau so eng verwoben sind Privat- und Berufsleben, was der Autor insofern berücksichtigt, als er auf eine getrennte Darstellung der beiden Bereiche verzichtet. Für den Leser entsteht dadurch ein buntes Panorama verschiedenster Aspekte, was nicht nur das Leben Jakob Wiedmer-Sterns, sondern auch die Lektüre der Biografie spannend macht.

Zitierweise:
Philipp Stämpfli: Rezension zu: Felix Müller: Rastlos. Das erstaunliche Leben des Archäologen und Erfinders Jakob Wiedmer-Stern (1876 – 1928). Zürich: Chronos 2020. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 65-67.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 65-67.

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